- 1999. Studenten:
Abel, Anna • Biechteler, Heike • Conradi, Julia • Förster, Catharina • Gieseke, Alexander • Hassenstein, Boris • Hoelzinger, Anne • Krug, Julia • Müller, Heidi • Opper, Cornelius • Przyrembel, Mark • Roloff, Yves • Schladitz, Wenke • Schneider, Christian • Schudel, Manuel • Swillus, Joachim • Wiesmann, Patrick - Projekt im Hauptstudium
- Prof. Eilfried Huth
- Kultur/ Medien/ Kommunikation

Ausstellung
Seminar
- Shintoismus
- Die japanische Familie
- Japanische Stadtentwicklung
- Metabolisten und Wissenschaft
- Populärkultur + Linke in Japan
- Exportgeschichte des Japan Designs
- Expo '70
- Österreich 60er Jahre
- Archigram
- Yona Friedman + GEAM
- Philosophy of Symbiosis
Projekte des Metabolismus
Literatur
RewindMETABOLISMUS
Einführung
Superstudio ist eine Gruppe italienischer Architekten, gegründet 1966 von Adolfo Natalini und Cristiano Toraldo, später kamen Piero Frasinelli und Roberto Magris hinzu. Zwischen 1970 und 1972 war Alessandro Poli mit S. assoziiert. Die Gruppe löst sich 1978 auf, unter dem kategorischen Dictum, dass die Kritik an der kapitalistischen Architektur diese nicht zu stürzen vermocht habe, und die Weiterarbeit keine Grundlage mehr habe. Die Mitglieder von S. sind seit den 70er Jahren vornehmlich in der Lehre tätig.
Ihre Arbeiten seit Begin der 70er Jahre gingen von literarischen Methaphern aus, die programmatisch die großen Grundthemen des Lebens behandeln. Dieser Ansatz zielte jedoch auch auf eine konkrete Anwendung in Architektur und Design, wie verschiedene Wettbewerbsbeiträge aus den späten 60er Jahren sowie die Produktdesigns für Zanotta, die Serie Misura, zeigen.
Superstudio – 1972, Misura–Tische
Natalini selbst beschreibt die Entwicklung von S. als einen Übergang von der konkreten zu einer rein theoretischen Arbeit, die auch das Selbstbild als Archtekten neu zu fassen versucht. Von den frühen Produktgestaltungen giebt es einen Weg zu „neutralen und nützlichen Designs“ (Natalini), was schließlich zu der Formulierung von negativen utopischen Szenarien (Entwurf von 12 Idealstädten) führt, als Warnungen vor dem, was die zeitgenössische Architektur mit ihren wissenschaftlichen Methoden, der Fortführung bestehender Modelle für Schrecken mit sich bringt.
Anders als z.B noch Archigrams fortschrittsgläubig-harmonisierende Entwürfe aus den frühen 60er Jahren sind S. Visionen hintergründig und provokativ. In der Abwendung von architektonischen Themen bleibt schließlich die Beschäftigung mit Fabeln und Parabeln. Es geht nicht um die Erzeugung von konkreten Szenarien sondern um Folgen, die ein bestimmter Modus des Verhaltens anstossen könnte. S. Arbeiten sind sowohl radikale Zeitkritik als auch der wahrscheinlich letzte Versuch einer architektonischen Utopie.
Der emanzipatorische Ansatz richtet sich auf ein „wiederentdecken und beherrschen“ des Selbst. So beschreibt Natalini das eigene Leben und die Beziehungen zu Anderen als das größte Projekt.
Superstudio – Tod oder die öffentliche Meinung
Beispiel aus „Leben (oder die öffentliche Meinung über die wirklich moderne Architektur). Oberfläche (Ein Alternativmodell für das Leben auf der Erde)“, Ausstellung: „The New Domestic Landscape“, New York, 1972:
„Du kannst sein wo du willst (...). Es ist kein Obdach erforderlich, weil die klimatischen Bedingungen und der Wärmehaushalt des Körpers so verändert worden sind, dass vollständiges Wohlbehagen garantiert ist. Höchstens können wir Obdachmachen spielen oder lieber noch Zuhausesein spielen, Architektur spielen. Du mußt nur stehenbleiben (...): das erwünschte Mikroklima ist sofort hergestellt (...), du schaltest dich ins Informationsnetz ein (...)“
aus: „Leben (oder die öffentliche Meinung über die wirklich moderne Architektur). Oberfläche (Ein Alternativmodell für das Leben auf der Erde)“, Ausstellung: „The New Domestic Landscape“, New York, 1972
Superstudio – Leben, 1972
Ausgewählte Werke
- 1967, Fortezza da Basso, Multifunktionszentrum, Wettbewerbsbeitrag
- 1967, Das fortwährende Monument, Entwurf einer unendlichen Superstruktur, die unterschiedslos jeden Ort auf der Erdoberfläche mit einen gleichförmigen Raster überzieht
- 1968, „Holiday machine“, Ferienzentrum, Tropea, Wettbewerbsbeitrag
Superstudio – Tropea Freizeitzentrum, 1968
Restoration Studies, Vorschläge zum Erhalt der historischen Zentren von Florenz, Venedig und Pisa.
Der Vorschlag für Florenz sieht die „totale Restaurierung“ vor, eine Wiederherstellung der urspünglichen Landschaft inklusive Überflutung des Stadtgebiets. Die bautechnischen Probleme in Venedig können nach S. duch Trockenlegen der Lagune gelöst werden, in der dann eine moderne unterirdische Stadt unterhalb der historischen Gebäude errichtet werden kann. Das Szenario für Pisa sieht vor, die ganze Stadt zu neigen, mit dem geradegerichteten Turm als Indikator der Schräglage. Für Touristen eröffnet sich die Erfarung einer ganzen schiefen Stadt, was einen wesentlich größeren Publikumsmagnet darstellen würde als ein einzelner schiefer Turm.
Fünf Geschichten (Zyklen über mehrere Kapitel) von Superstudio, fünf Kurzfilme (jeweils ca. 12min) mit den Titeln:
Leben, Erziehung, Zeremonie, Liebe, Tod, 1971-1973 (genau zwei Jahre, vom 21. März 71 bis zum 20. März 73). Zu jedem dieser Filme entstehen Texte, die für eine Öffentlichkeit jenseits der Fächöffentlichkeit bestimmt sind und die Art von Werbetexten übernehmen.
Superstudio – 1971, love, Collage
Ausstellungen:
- 1966 und 1967 in Modena und Pistoria
- 1971 auf der VII Biennale in Paris und Ausstellung von „12 Idealstädten“ in Rom
- 1972, Italy – The New Domestic Landscape, New York, Museum of Modern Art, 26.5-11.9.1972
- 1973, Fragmente aus einem persönlichen Museum, Wien
Rezeptionsgeschichte
Die Rezeption von Superstudio ist lückenhaft und überwiegend oberflächlich. Monographien über S. giebt es zur Zeit nicht, überwiegend werden S. in Zeitschiftenartikeln erwähnt, ihre Werke tauchen im Zusammenhang mit utopischen Entwürfen regelmäßig mit auf. Gemeinsam ist den meisten Nennungen aber, das S. Werke nur ausschnitthaft gezeigt werden. Hervorgehoben wird überwiegend die utopische Dimension, der gesllschafts- und technologiekritische Impuls wird jedoch wenig wahrgenommen. Sowohl die utopische als auch die Zeitkritische Lesart lassen sich kaum sinnvoll isolieren. Die Betonung des sehr wohl ernstgemeinten utopische Szenarios in den späten Arbeiten, wie es z.B. Colin Rowe und Fred Koetter in Collage City tun, übersieht die Entwicklung, die S. durchlaufen. Dieses Bewußtsein der Ummöglichkeit, ein positive Utopie noch einmal widerspruchslos zu formulieren, wird in der gegenwärtigen Literatur wenig rezipiert.
Hintergründe, kritischer Gehalt.
Das Mittel ist die Parabel. S. erzählt Geschichten, die als negative Utopien Werte und Visionen der westlichen Wohlstandsgesellschaften aufgreifen und ironisch bis grotesk überzeichnen. Auch ist eine eignenständige Suche nach verbindlichen Strategien für die technizistische Weiterentwicklung der Menschheit erkennbar. Der letzte große Versuch, aus einer der klassische Disziplinen eine Leitidee für die Entwiklung der Menschheit zu generieren, muß die Unmöglichkeit, noch einmal ein geschlossenes Weltbild zu formulieren mit einbeziehen. S. Geschichten sind nicht auf ein konkret zu verwiklichendes Ziel gerichtet. Statt dessen fokussiert S. neue Werte, vor allem Individualismus und Selbstverwirklichung. Das gleichförmige Raster bildet die Bühne für spontane Ereignisse. Die hier artikulierte Forderung nach Konsumverzicht und einer „Befreiung von der Tyrannei der Objekte“ antizipieren schon die Bedingungen der postmaterialistischen Gesellschaft.
Beispiel: „Ein Environment für die Liebe auf den ersten Blick
Die Verliebungsmaschine, die auf der einen Seite des Weges aufgestellt war, lag unbeweglich im Grass. Aber in dem Momente, wo ein Jüngling oder ein Mädchen an ihr vorbeigingen, traf ein fast unsichtbarer Strahl das Aufnahmeschild, das auf der anderen Wegseite versteckt lag. Der Jüngling und das Mädchen fielen in großer Liebe zueinander entbrannt ins Gras. Das genau gleiche Schicksal wiederfuhr all denen, die irgendwo auf der Welt in den verschiedenen Environments in den Einfluß dieser Maschine gerieten...“ aus: Zyklus „Liebe“, fünf Geschichten von Superstudio, 1971-1973
Utopische Dimension
S. suche eine Verbindung der sich auseianderdifferenzierenden Lebensbereiche. Menschliche Existenz soll sich in Zeit und Raum neu in Beziehung setzen. Ein Ineinsgehen von Architektur und Lebensumständen wird postuliert. Diese Suche nach neuen Fixpunkten für moralische Normen wird versucht zu objektivieren. Das Mittel ist die Reduktion von kulturell erzeugten hin zu primären Bedürfnissen. S. formulieren Bedingungen für die absolute Freiheit. Dieser Freiheit werden jedoch die historisch möglichen Freiheiten geopfert. Freiheit bei S. wird zu einem quasireligiösen Ziel, das nur durch eine materielle Askese erreicht werden kann. (die Welt als stäntiges Woodstock-Festival, CC, S. 69)
„Im Moment, wo wir den Tod als Tatsache des Lebens akzeptieren(...), verlieren verlieren der Terror und seine Linimente seine Gewalt (...). Erst in jenem Moment wird der Mensch seine Realität akzeptieren, ohne Formale Strukturen zu benötigen (Macht, Religion, Architektur, Riten...) (...)
Wir werden keine Architekturen für den Tod mehr benötigen.
Unsere einzige Architektur wird unser Leben sein.“
aus: Ein didaktisches Beispiel, Der neue Friedhof von Modena, Zyklus „Leben“, Geschichte „Tod“
Bewertung in Bezug auf den japanischen Metabolismus und den Spätfunktionalismus in Europa.
S. zeigt eine kritische Alternative zu dem technologischen Optimismus der Metabolisten. Im Gegensatz zu anonymen Strukturen stellt S. Individuen in den Mittelpunkt. S. beschreibt Handlungsspielräume und emotionale Perspekiven. Der Zyklus Leben ist aus der Sicht der ersten Person geschrieben, ein vergleichbare Perspektive giebt es bei dem Metabolisten nicht; deren Darstellungen zeigen den Blick eines Demiurgen, distanziert und emotionslos. S. breiten vor dem Betrachter eine Landschaft aus, die in ihrer haptischen Qualität einen überrealen Zugang bietet, die metabolistischen Visionen dagegen führen Funktion und konstruktive Prinzipien in einer obsessiven Liebe zur Technik vor.
Die Funktionalismuskritik ist bei S. weitergehender als bei z.B. Haus Rucker & Co. S. Parabeln auf die moderne Architektur artikulieren ein Unbehagen in den Industriegesellschaften. S. erzählt Parabeln über Gesellschaften, die ihre Städte verlassen haben und zu einer Subsistenzwirtschaft zurückgekehrt sind (Zyklus „Zeremonie“). Das dabei verwendete Bild arbeitet mit der Wiedereinsetzung von Mythos und Ritual, nicht wie z.B. Archigrams momadische Städte mit der Überwindung traditioneller Siedlungsformen. S. erzeugen hier Instrumente, die einen Wiedereintritt in die Geschichte in der Folge möglich machen.
Der emanzipatorische Gehalt, der am stärksten im Zyklus „Leben, oder die öffentliche Meinung über die wirklich moderne Architektur“ zum Ausdruck kommt, sieht sehr stark die Entwicklung der 70er und 80er Jahre voraus. Das utopische Moment von der völlig egalitären Gesellschaft wird hier schon stark überlagert vom Wegfall der gesellschaftlichen Fixpunkte und der Herausbildung eines auf Selbtverwirklichung zielenden Individualismus.
S. unternimmt den letzten Versuch einer architektonischen Utopie im 20ten Jahrhundert. Die Unmöglichkeit eines solchen Projekts scheint paradoxerweise gerade der Antrieb zu sein, es noch einmal zu versuchen. Zu einem Zeitpunkt, als die Versprechen von der technologischen Bereherrschbarkeit und der Planbarkeit der Zukunft ihren positiven Gehalt offensichtlich nicht mehr einlösen würden, reagierten S. mit einern radikalen Neuinterpretation der technologischen Möglichkeiten. Sie bezogen ünübersehbar gewordenen Brüche und Diskontinuietäten in ihre Sicht mit ein. So funktioniert die Argumentation von S. nur noch im Durchgang durch die Abgründe der utopischen Szenarien. S. eigenes utopisches Szenario ist daher nicht mehr durchgängig schlüssig, sondern spiegelt einen Wendepunkt wieder, an dem die Verheißungen durch Technik nicht mehr mit Fortschritt und Harmonie gleigesetzt werden konnten. Technik ist bei S. nur noch das Mittel, um Visionen zu transportieren. An eine konkrete Umsetzung ist in der letzten Konsequenz nicht mehr gedacht. Ihre Geschichten sind Parabeln auf die Verwendung von Technologie, der Fokus liegt dabei auf den Werten, die den Umgang mit Technik bestimmen könnten.
Literatur
- Ambasz, Emilio (Hg.): Italy, The New Domestic Landscape, Katalog zur Ausstellung, Museum Of Modern Art New York, 1972
- Archithese, Nr. 1, 1972
- Architectural Design 1975/10, S. 592: Wiederherstellungsstudien (Florenz, Venedig, Pisa)
- Casabella 374/1973, S. 35-42: 5 Geschichten
- Casabella 377/1973, S. 30-35: „Liebe“
- Casabella 380-380/1973, S. 43-52: „Tod“
- Bauen + Wohnen 1977/6, S. 220: Urbino, Fridhofsprojekt von 1973
Bibliographien
- Richardson, Sara: Adolfo Natalini. Superstudio, a bibliography, Monticello 1989
- Architekten-Adolfo Natalini und Superstudio. Literaturdokumentation, Stuttgart 1998